die randschau
- Zeitschrift für Behindertenpolitik
- Die 90er Jahre: eine neue Redaktion
- Zeitschrift einer Bewegung
- Krüppeltopia und ganz reale Bedingungen
- Von Singer & Co bis Kunst und Kultur
- Bewegung im Wandel & Eine neue Redaktion und das Ende einer Ära
Zeitschrift einer Bewegung
In dieser politischen Großwetterlage übernahm eine neue Redaktion die Verantwortung für die randschau, die von manchen in der Szene (in manchmal grotesker Verkennung der personellen und materiellen Ressourcen der Zeitung) als eine Art zentrales Organ der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung wahrgenommen wurde.
Die neue Redaktion bestand aus einer 6-köpfigen „Kerngruppe“, deren Mitglieder allesamt eine Körper- bzw. Sinnesbehinderung hatten, zeitweise arbeiteten auch noch weitere Personen mit. Erfahrung im Zeitungmachen hatte bis dahin im Wesentlichen nur Jörg Fretter, der bereits der vorigen randschau-Redaktion angehört hatte. Regional verteilten sich die Mitarbeiter, die damit zugleich als „Lokalredaktionen“ fungierten, auf die Städte Kassel /später Marburg (von wo auch Produktion und Vertrieb koordiniert wurden), Essen, Berlin, Mannheim (später Bonn) und München. Damit war ein halbwegs flächendeckendes Netz an Kontakten gewährleistet und die Zeitschrift konnte sich mit einiger Berechtigung als „überregional“ bezeichnen.

Politisch verorteten sich die neuen Redakteure alle im Spektrum der gesellschaftlichen Linken, wobei die einzelnen Biographien beträchtliche Unterschiede aufwiesen - von autonomen Zusammenhängen über linkskatholische Initiativen bis hin zur, in den frühen 90er Jahren noch halbwegs linken, Partei „Die Grünen“. Gemeinsame Basis der Redaktion war die Zugehörigkeit zum „Forum der Krüppel- und Behinderteninitiativen“, einem bundesweiten, lockeren Diskussions- und Aktionszusammenhang der unabhängigen Behindertenbewegung mit regelmäßigen Treffen und Anbindung an die AG SPAK (Arbeitsgemeinschaft sozialpolischer Arbeitskreise). Auf dieser Grundlage ließ sich ein behindertenpolitischer Minimalkonsens herstellen. Auch wenn ein solcher nie schriftlich festgelegt wurde, konnten sich doch alle auf bestimmte inhaltliche Grundlinien verständigen:
- Eintreten für die Selbstbestimmung behinderter Menschen, einschließlich der materiellen Grundlagen
- Abkehr von „Spartendenken“ und Lobbyismus für einzelne Behinderungsarten/ -formen
- Opposition gegen die aufkommende Bioethik mit ihrer Bewertung von Menschen nach ihrer Nützlichkeit, sowie gegen die zunehmenden Debatten über Eugenik und Euthanasie
- Unabhängigkeit sowohl von traditionellen Wohlfahrtsverbänden als auch von nichtbehinderten Wortführern innerhalb der eigenen Zusammenhänge
Da die randschau ihren Autoren ebenso wenig Geld für ihre Beiträge zahlen konnte wie der Redaktion selbst, war sie auf die Bereitschaft von vielen Menschen angewiesen, unentgeltlich ihre Texte zur Verfügung zu stellen. Entscheidend dafür waren die über Jahre gewachsenen politischen wie auch persönlichen Kontakte der einzelnen Redakteure, wobei sich die Unterschiedlichkeit der Einzelpersonen und ihrer Verbindungen oft als Vorteil erwies. Diese Solidarität ermöglichte es immer wieder, aktuelle und interessante Beiträge zu drucken, oft als Originaltexte, manchmal aber auch als Nachdrucke. Die Autoren waren einerseits Menschen aus dem Umfeld der Behindertenszene, aber auch aus dem linksradikalen und feministischen Spektrum sowie Einzelpersonen aus dem universitären Milieu, wobei für manche die Zeitschrift wiederum eine wichtige Informationsquelle war. Dabei war es oft überraschend, welches Interesse den Stellungnahmen und Debatten der Behindertenbewegung entgegengebracht wurde, wenn etwa Texte aus der randschau in behindertenpädagogischen Fachzeitschriften zitiert wurden – trotz des durchaus kritischen Verhältnisses der Redaktion zu dieser Fachrichtung.