die randschau
- Zeitschrift für Behindertenpolitik
- Die 90er Jahre: eine neue Redaktion
- Zeitschrift einer Bewegung
- Krüppeltopia und ganz reale Bedingungen
- Von Singer & Co bis Kunst und Kultur
- Bewegung im Wandel & Eine neue Redaktion und das Ende einer Ära
Von Singer & Co bis Kunst und Kultur

Mit diesen Themen zusammenhängend gab es zu Beginn der 90er Jahre einige Ereignisse, die nicht nur die Behindertenszene beunruhigten, sondern auch in einem Teil der Öffentlichkeit verstärkte Aufmerksamkeit hervorriefen: Zu nennen sind beispielsweise die rassistischen Ausschreitungen in verschiedenen deutschen Städten (von denen teilweise auch Behinderte betroffen waren), der 1996 geplante Auftritt des australischen Bioethikers Peter Singer bei einem Kongress in Heidelberg oder auch die Einführung der Pflegeversicherung mit ihren Folgen für das selbstbestimmte Leben behinderter Menschen. Zu vielen dieser Themen gelang es wiederholt, fundierte Beiträge ins Blatt zu nehmen, die über die begrenzte „Stammleserschaft“ hinaus Interesse an Positionen von behinderten Menschen weckten und teilweise wichtige Diskussionsprozesse in Gang setzten. So wurde beispielsweise im Heft 1/1996 unter dem Titel „Selektion eiskalt“ die Pflegeversicherung als Instrument der „Sozialen Euthanasie“ gebrandmarkt – eine Verknüpfung, die anderswo kaum zu finden war.
Über diese eher „traditionellen“ Themen der Behindertenbewegung hinaus versuchte die Redaktion auch immer wieder, Schwerpunkte mit bis dahin eher vernachlässigten, z.T. auch individualistischeren Themen zu produzieren, wie z.B. die Hefte zu „Kids“ (Heft 3/1994), „Therapie“ (Heft 3/95, mit dem eine in der Anfangszeit der Behindertenbewegung wichtige Debatte um Verweigerung bzw. Veränderbarkeit von Therapieformen wieder aufgenommen wurde) oder „Krüppel-Kunst-Kultur“ (Heft 4/95).
Trotzdem gelang die Emanzipation von den „Altvorderen“ der Szene, denen die Bewegung so viel zu verdanken hatte, nie zur Gänze. So blieben nicht nur die Inhalte, sondern auch der Stil der randschau oft einer Tradition der frühen Zeitschriften der Behindertenbewegung und linken Zeitschriften allgemein verhaftet.
Erfolg einer Emanzipationsbewegung und neue Herausforderungen

Andererseits verstärkte sich die Ahnung, dass die Zeitschrift in dieser Form keine Zukunft haben könnte. Im Rückblick wäre vielleicht in den 90er Jahren der geeignete Zeitpunkt gewesen, um mit völlig neuen Formen eines politischen Mediums zu experimentieren. Die technologischen Umbrüche in der Medienwelt versprachen einerseits neue Möglichkeiten der Partizipation, zum anderen befand sich auch die Zielgruppe der randschau im Umbruch. Jüngere Behinderte, auch wenn sie die gesellschaftlichen Zustände und ihre eigene Situation kritisch sahen, waren für die Zeitschrift schwerer erreichbar, da sie ihr Lebensgefühl nicht mehr ansprach. Auch als Folge der Kämpfe um Teilhabe seit den 80er Jahren definierten sich viele Jüngere nicht mehr zuerst als „behindert“ und fanden sich nicht mehr mit der Rolle als Opfer der Verhältnisse ab, sondern forderten ihren Status als gleichberechtigtes gesellschaftliches Subjekt ein und formulierten andere kulturelle Ansprüche. Was als Erfolg der Emanzipationsbewegung gelten kann, stellte die Redaktion vor ungewohnte Herausforderungen, die sie am Ende überforderten.
Es fehlten die realen Möglichkeiten und vielleicht auch der Mut, eine tatsächlich „moderne“ Zeitschrift zu machen, in der sich auch diese veränderte Selbstwahrnehmung niedergeschlagen hätte, die einen neuen Ton mit mehr Lebenslust, Lockerheit und (Selbst-)Ironie angeschlagen und mit mehr partizipativen Elementen verbunden hätte. Dies lag wohl auch an einem geringen Echo in der Leserschaft (das die Redaktion oft beklagte), zum anderen gab es damals noch zu wenig Erfahrung mit Online-Medien und noch keinen verbreiteten Zugang zu Computern. Ein Teil der Redaktion stand der IT-Revolution eher skeptisch gegenüber und hielt lieber am vertrauten Printmedium fest.